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Bleibt alles anders

So sang vor Jahren schon Herr Groenemeyer, und das denke ich zur Zeit auch haeufig. Schon wieder mehr als zwei Monate, seit ich zuletzt geschrieben habe, aber passiert ist in diesen Monaten genug fuer ein ganzes Jahr, so fuehlt es sich an. Nur draussen, draussen sieht es immer noch so aus wie vor zwei Monaten. Die Sonne scheint, der Schnee glitzert, die Tiere wollen jeden Tag essen und fordern eine gleichbleibende Routine. Das hat etwas sehr Gutes in diesen Zeiten, wo sich alles irrwitzig schnell zu aendern scheint.

An den Februar erinnere ich mich schon kaum noch. Schnee, Brot, Wanderungen in den Wald – das Uebliche. Alma half mir, Feuerholz zum Haus zu ziehen, ich hielt die diversen Oefen am Laufen. Mittendrin ein sehr erschreckender Kaminbrand, den wir und das Haus aber ohne sichtbare Schaeden ueberstanden haben. Ein schoenes Wochenende mit den Young Agrarians, einer Organisation junger und nicht so junger, bereits aktiver oder Moechtegern-Landwirte. Ende Februar kam dann die Nachbarin und brachte einen Rundballen, nachdem sie mir drei (DREI!) auf den roten Rudolf geladen hatte. Rudolf, der kann was! Schliesslich wuerde ich am 1. Maerz nach Deutschland fliegen, und die Tiere sollten gut versorgt sein. Wir haben festgestellt, dass diese Heulieferungen unter uns Frauen mehr Spass machen als mit Maennern (nein, ich will hier niemanden diskriminieren, aber es war tatsaechlich irgendwie einfacher, praktischer und lustiger, das letztere sowieso!)

Dann bestieg ich mit zwei halbvollen Koffern erst den kleinen und dann den grossen Flieger, trotz Unkenrufen, ob ich denn wohl trotz Corona aus Deutschland wieder rauskommen wuerde. Ich war optimistisch, vielleicht auch ein bisschen naiv. Doch schliesslich gab es in Deutschland den Nachlass meiner Mutter zu regeln, und dafuer wollte ich mir den ganzen Monat Zeit nehmen.

In Deutschland wurde ich von regnerischem Wetter empfangen, es war ueberwiegend grau, was meiner Motivation so gar nicht half. Aber es gab auch schoene Zeit mit meinen Maedels, nette Abende mit Freunden und schliesslich dann schoenes Wetter, Gaenge mit den Hunden, und noch ein bisschen Sitzen an der Datscha, die ich mit sehr schwerem Herzen jetzt aufgebe. Ueberhaupt war dieser Aufenthalt gepraegt von einem Gefuehl von Aufgeben, Gehenlassen, Loslassen. Wichtige Uebungen, die jetzt wohl dran waren.

Und ueber allem schwebte die sich rapide entwickelnde Coronavirus-Situation. Aus Kanada kamen Fragen, ob ich denn nicht nach Hause kommen wolle, ob das denn alles so klug sei, etc. Ich blieb immer noch recht entspannt. Aber dann rief tatsaechlich der Herr Hoe. persoenlich an – ein seltenes Ereignis. Ob ich schon umgebucht habe? – Nein, warum? – Solltest du aber besser… – Tat ich dann auch, verkuerzte meinen Aufenthalt um 10 Tage, und es sieht so aus, als ob ich einen der letzten Air Canada Fluege nach Calgary erwischt habe.

Frankfurt war gespenstisch leer, mein Flug scheinbar laengst nicht ausgebucht. Calgary sah etwas belebter aus, aber der letzte Flug nach Grande Prairie hatte – bei moeglichen knapp 100 Passagieren – nur 18 Reisende an Bord.

Zu Hause bin ich jetzt in – inzwischen gesetzlich verpflichtender – haeuslicher Isolierung. Das ist nun natuerlich so gar nicht schwierig. Abgeholt wurde ich von Gereon und Freundin Katrin mit zwei Autos und chauffierte mich dann allein nach Hause, mit den beiden im nachfolgenden Auto. So wurde es moeglich, dass Gereon dennoch arbeiten gehen kann, weil er sich in seiner Werkstatt einschliessen und keinen sehen darf. Sogar Einkaeufe fuer uns uebernimmt seine Firma jetzt und stellt ihm alles vor die Werkstatttuer. Kommunikation erfolgt nur per Telefon

Eingekauft hatte aber auch Katrin schon fuer uns, nach meiner durchgetexteten Liste. Weil wir so leben, wie wir schon lange leben, sind 14 Tage ohne weiteres Einkaufen so gar kein Problem. Doch wie ich hoere, gibt es auch hier Hamsterkaeufe. Was fuer ein merkwuerdiges Verhalten! In Alberta sind relativ wenige Faelle, doch die Zahlen steigen natuerlich auch hier. Es wurden jedoch schon sehr frueh recht strikte Massnahmen ergriffen, und aufgrund unserer grossen raeumlichen Distanz hier auf dem Lande hoffe ich, dass in den Zentren genuegend Immunitaet entsteht und das Virus sich totlaeuft, bevor es bis zu uns durchdringen kann.

Es hat noch mehr Schnee gegeben, doch die Temperaturen sind bis auf einen kleinen Ausreisser einstellig nach oben und nach unten. Morgens beginne ich den Tag mit dem NDR-Podcast mit Prof. Drosten, dann lese ich die neuen Berichte des Robert-Koch-Instituts. Nachmittags gibt’s den Video-Bericht der Chef-Medizinerin der Provinz, zu dem sich hin und wieder auch der Ministerpraesident gesellt. Nachrichten liest nach wie vor nur der Herr Hoe., ich traue denen eher nicht. Und dazwischen sind meine Tage wie immer. Bleibt eben alles anders. Im Moment bin ich recht gelassen.

Euch, liebe Leser, wuensche ich gute Nerven und klare Koepfe. Passt gut auf euch und eure Nachbarn auf.

Ach wie schoen war das!

Nachdem der Schnee sich wieder verzogen hatte und stattdessen eine ordnungsgemaesse Herbststimmung aufkam, starteten Corinne Moor und ich endlich zu unserem schon lange angepeilten Roadtrip. Nur zur Erinnerung noch mal: Corinne und ihr Mann Sam kamen vor (ziemlich) vielen Jahren aus der Schweiz nach Kanada. Wir lernten sie schon frueh kennen, als wir noch auf die Kuehe aufpassten. Von ihnen kauften wir unsere ersten Ziegen, und seitdem sind sie Lieferanten fuer fast alles: mehr Ziegen, eine Katze, unseren ganzen Solar-Krams, Hund Sixty… Und jetzt auch noch Reisefuehrung – wie praktisch ist das denn?!

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Fuer diese Strecke hatten wir uns zwei Tage Zeit genommen, und der Himmel spielte mit. Corinne hatte die Tour schon gemacht und konnte viel erzaehlen zu den Sehenswuerdigkeiten, kleinen und groesseren. Mich faszinieren besonders die kleinen. Wie zum Beispiel dieser himmlische kleine Laden in Cleardale, wo es buchstaeblich ALLES gab, und wo die (leeren) Benzinkanister friedlich neben der MoPro-Kuehlung parkten (MoPro fuer die die Nicht-Bioladen-Versierten: Molkereiprodukte 😉 )

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Tankstellen muessen hier nicht immer so aussehen wie in Deutschland 😉

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Meine Fotografen-Faehigkeiten liessen rueckblickend stark zu wuenschen uebrig. Corinnes Fotos dagegen vermitteln viel besser die Weite und das Wetter und die Landschaft etc.pp. Mit ihrer freundlichen Genehmigung verwende ich also ueberwiegend ihre Fotos, naemlich die rechteckigen. Quadratisch und Karten sind von mir.

Unser erstes „echtes“ Ziel war Fort St. John (keine Fotos). Da kannte Corinne ein nettes kleines Cafe-Restaurant mit europaeischem Flair, also Holztische, Holzstuehle, keine Cafe-Kette, sondern unabhaengig. Und lecker war’s. Weiter ging es nach Hudson’s Hope, gut 1000 Menschen in der gesamten Gemeinde, also sehr ueberschaubar. Der Weg dorthin fuehrt am Peace River entlang, und das weite Flusstal ist Schauplatz und Gegenstand von Protesten und Aktionen.

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Es soll naemlich zu einem grossen Teil geflutet werden fuer einen riesigen Stausee und die Gewinnung von Strom. Das ganze Projekt wird sehr kontrovers diskutiert, ich gestehe, ich habe den neuesten Stand nicht. Der Text auf der Seite unten erklaert, dass damit knapp 6500 Hektar fruchtbares Land verloren gingen.

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Aber Stausee hin, Stausee her, wir fuhren durch wunderschoene Herbstlandschaft.

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Wie man sieht, waren verstopfte Strassen so gar nicht unser Problem. Aber B.C. hat Kurven – ganz ungewohnt.

Ein Stueckchen hinter Hudson’s Hope beginnt oder endet der W.A.C. Bennett Dam, ein schon bestehender Stausee, der groesste in B.C. und der siebtgroesste der Welt. Auch dieser hatte natuerlich immense Auswirkungen auf die Menschen und die Natur in der Gegend, viele First Nations Gruppen mussten umgesiedelt werden.

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Wie die Informationstafeln angaben, produzieren die beiden vom Stausee betriebenen Kraftwerke zusammen etwas ueber 17.000 GWh, der durchschnittliche Haushalt in B.C. verbraucht jaehrlich 11.000 kWh. Das liess mich doch mal nachdenken. Die letzte Jahresabrechnung fuer die Datscha in Deutschland war ueber 277 kWh. Ich weiss, dass das kein Vergleich ist, weil ja fast nie jemand da war. Aber 11.000 ist schon eine ganz ordentliche Zahl, scheint mir… In Deutschland verbraucht laut http://www.stromverbrauch.de ein Haushalt mit 5 Personen im Schnitt 5.900 kWh und ein paar Zerquetschte. Erstaunlich.

Wir fuhren weiter, um in einem Hotel/Ferienhausbetrieb einen Kaffee zu trinken und die Aussicht zu geniessen. Zwar war der Himmel manchmal bewoelkt, aber das hat auch seinen Reiz. Die Berge tragen schon Schneehauben.

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Uebernachtet wurde in Chetwynd, einem Oertchen, das von der Forstindustrie lebt, in dessen Umgebung aber auch Kohle abgebaut wird. Keine Fotos. Aber gut gegessen und geschlafen.

Am naechsten Tag hielten wir auf dem Weg nach Tumbler Ridge kurz am Gwillim Lake, den ich auf der Karte gar nicht eingetragen habe. Dramatisches Licht, wunderschoener kleiner See, keine Menschenseele weit und breit. So gehoert das.

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Naechster Halt: Tumbler Ridge. Sehr nette Tourist Information, ich konnte mir einen kleinen Einkauf nicht verkneifen. Wieder keine Fotos. Wieder gegessen und die Haeuschen bewundert, die dort irgendwie bunter sind als hier bei uns in (theoretisch) Nord-Alberta, fast skandinavisch. Nett jedenfalls. Und dann ging es weiter zu den Kinuseo Falls. Von denen hatte ich schon gehoert und auch Fotos gesehen. Gute 60 km suedlich von Tumbler Ridge und erreichbar groesstenteils ueber Schotterstrasse. Die war zwar ganz gut, aber wir waren uns einig: unsere albertanischen Schotterstrassen sind „weicher“ und klingen weniger bedrohlich fuer die Reifen. Wir kamen heil an, auch wenn es ueber ein paar interessante Bruecken ging. Auf dem Parkplatz an den Wasserfaellen stand ein dicker Truck mit einem Platten…. Glueck gehabt!

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Die Wasserfaelle sprechen fuer sich selbst, und zwar laut. Die Kinuseo Falls sind tatsaechlich hoeher, wenn auch nur wenig, als die Niagara Falls. Sie bewegen aber bei weitem nicht so viel Wasser und sind auch nicht so steil. Beeindruckend trotzdem, vor allem fuer mich, die ich mich mit Hoehen ein bisschen schwer tue. Immerhin habe ich mich bis auf die zweite Aussichtsplattform im Steilhang gewagt – keine Fotos. Die erste Plattform hatte den Vorteil, dass ich sie nicht von unten sehen konnte…IMG_8739

 

 

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Zurueck ging’s ueber Dawson Creek, wo offiziell der Alaska Highway beginnt.

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Schoen war’s! Grosser Dank an Corinne, nicht nur fuer die schoenen Fotos! Ich wuerde sofort wieder in’s Auto steigen und nochmal fahren, und ich habe auch beschlossen, dass der naechste Besuch diese Tour bekommt. Und naechstes Jahr dann Yellowknife?!