So waren wir also seit September 2006 auf „unserem“ Land. Zwei so genannte Quarter Sections, also zwei Quadrate von jeweils einer halben Meile Seitenlaenge macht etwa 130 Hektar. Wald in alle Richtungen. Und wo kein Wald war, war es nass. So richtig nass. Biberteiche, Suempfe, alles nass. Keinerlei Infrastruktur, also keine Strom- oder Telefonleitung, kein Gasanschluss, selbstverstaendlich kein Wasser (das ist hier auf dem Land sowieso jedermanns eigene Angelegenheit). Ich aber war immer noch naiv, hatte ich doch die Illusion, dass mein Mann im Rubbeldikadetz ein schickes, wenn auch rustikales kleines Haeuschen hinstellen wuerde, mit Holzofen, Strom (irgendwie – was ich da so genau gedacht habe, bleibt mir heute verborgen) und Wasser (siehe oben). Natuerlich alles Quatsch, wie wir heute wissen. Und waehrend meine Illusion sich so langsam im Wald aufloeste, lernte ich weiter. Naemlich, dass man auch mit viel weniger auskommen kann. Dass Winter ernst bis sehr ernst sein kann, aber auch schoen bis wunderschoen. Und dass man ihn auch unter eher einfachen Verhaeltnissen durchaus ueberstehen und dabei noch Spass haben kann. Dass woechentliche oder gar taegliche Duschen voellig, aber sowas von voellig ueberbewertet werden. Dass gute Nachbarn mit Geld nicht zu bezahlen sind, und dass wir welche haben – was fuer ein Segen.
Ich arbeitete ein paar Tage in der Buecherei in Valleyview, und Gereon fand sofort eine neue Arbeitsstelle ebenfalls in Valleyview. Diese Stelle – das sei hier mal erwaehnt – hat er seitdem. Er ist mit Sicherheit der dienstaelteste Mitarbeiter im Betrieb, und seit etwa acht Jahren, als der Kollege in der Werkstatt wegzog und er nun allein fuer alles dort zustaendig war, hat er nie mehr als zwei, hoechstens drei Tage hintereinander frei genommen. Ich finde das einerseits bewundernswert. Andererseits erklaert das, warum es hier sehr, sehr langsam weitergeht. Doch schon ganz am Anfang hoerte ich den Spruch: Canada is next-year country. Inzwischen weiss ich, dass das eher untertrieben ist.
Zwei Jahre lang spielte sich unser Leben in der „Kueche“, einem nicht isolierten Gebaeude ohne Fussboden, und dem „Schlafzimmer“, einem kleinen, isolierten, propan-beheizten Kaemmerchen im Pole Shed, ab. Na, und draussen natuerlich. Im Garten, im Wald. Morgens kurz nach fuenf wankte ich aus dem Kaemmerchen ueber einen Holzsteg in die Kueche und machte Feuer im Ofen, fuer Kaffee und Tee. Auch im Winter. Auch bei minus 30 oder kaelter. Nie wieder habe ich seitdem soooo viele Sternschnuppen und Nordlichter und traumhaft schoene Nachthimmel gesehen. Aber auch nie wieder Traenen vergossen ueber gefrorenem Spuelmittel, gefrorenem Wasser, gefrorenem alles. Strom aus einer Autobatterie reichte gerade mal fuer eine, max. zwei Gluehbirnen und das Ladegeraet fuer’s Handy, unsere grosse Errungenschaft. Maeuse waren immer ein Thema, alles musste sicher untergebracht werden, und manchmal klaute das Wiesel Kekse.
Weil die Ziegen immer mehr wurden, schafften wir einen dritten Hund an, die zweite Emmi, die die Aufgabe des Draussen-Wachhundes uebernahm, weil Zora mit ihrem duennen Fell sich dann doch als ungeeignet erwies (jedenfalls fand sie es drinnen viel schoener, und das kann man ihr nicht veruebeln). Auch die Ziegen zogen zumindest zum Melken und dann auch zum Kinderkriegen in die Kueche um – das war nicht nur fuer die Ziegen, sondern vor allem auch fuer meine Finger wesentlich angenehmer.
In den ersten beiden Wintern gab es viel, richtig viel Schnee. Im ersten Jahr begann es im Oktober richtig zu schneien, und im Mai gab’s immer noch Schnee. Wir denken, dass wir seitdem nie wieder einen so schneereichen Winter hatten. Es gab jede Menge Ziegen in diesem Jahr, und dann auch im Fruehjahr jede Menge Matsche, vor allem IN der Kueche.
2007 kam das schwere Geraet. Zuerst der Bagger, um einen Teich zu buddeln. Es regnete, und ich musste wieder weinen, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass diese ungeheure Matsche und Zerstoerung je wieder gut werden koennte. Konnte sie aber, weiss ich heute. Wieder was gelernt.
Dann kamen unsere inzwischen leider beide verstorbenen Freunde Chris und David und halfen mit ihrem Quad beim Umzug so einiger Restbestaende, Honigfaesser und Huehnerstaelle. Ein Holzschuppen wurde gebaut. Der Garten bekam einen ziegendichten Zaun. Die Kueche eine Veranda. Und ich Hochbeete. Trudi, die besondere Katze, gesellte sich zu unserer Menagerie. Der Bauplatz fuer das geplante Haus wurde abgesteckt und die Fundamente gegossen. Die Nachbarin zeigte mir, wie man Pfirsiche und Co. einkocht. Die Tiere waren entspannt.
Der Hausbau begann. Ich war – wie meist – optimistisch. Doch es wurde noch ein Winter in der „alten Kueche“, und dann noch ein Sommer, und dann noch ein Winteranfang, bevor wir in das neue Haus einziehen konnten. Gebaut wurde praktisch bei jedem Wetter, und ohne die Hilfe der Bussemeier-Crew und einiger anderer Freunde haetten wir wahrscheinlich gar kein Haus. In der alten Kueche gab es immerhin noch einen Teilfussboden, bevor ein weiterer schneereicher Winter begann. Thomas B. reiste sogar noch an Gereons Geburtstag an, um zu bauen. Und wie man sieht, kann selbst in der aermsten Huette ein Fernseher aufgebaut und Schokolade gegessen werden, zur Feier des Tages.
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Irgendwann im Fruehjahr 2008 kam dann eine Raupe, ein Caterpillar aus Gereons Firma, der von David uebers Land gefahren wurde. Als er fertig war, hatten wir etwa 7 km „Wegenetz“, rauh, aber begehbar. Viele Baeume fielen, es gab viel Chaos, aber die Wege existieren auch jetzt noch, ueberwiegend begehbar. Auf dem Suedland, auf der anderen Strassenseite, wurde ein grosses Rechteck freigeschoben, ein kleiner Teich ausgebuddelt und sowas wie eine Fenceline, also eine Schneise fuer einen Zaun, erkaempft. Ich war mal wieder optimistisch und naiv, sah Zaeune und Ziegen in froehlicher Koexistenz. Auch da wissen wir, wie’s ausgegangen ist, naemlich nicht.
Ebenfalls im Fruehjahr 2008 gesellten sich diese beiden zu unserer wachsenden Tierschar. Ludwig und Lilli. Inzwischen mit Trudi und dem Lama die dienstaeltesten Mitbewoehner, wobei das Lama natuerlich die Krone traegt. Im Sommer kam mein aelteres Kind tapfer in die Wildnis und das halbfertige Haus. Vielleicht traegt die erste Einweisung in die Imkerei heute Fruechte. Wir fuhren zusammen zum Olds College (Fiber Week), genossen die Zivilisation und brachten George mit. Es kam noch mehr Besuch aus Deutschland, es wurde weiter gebaut, Kings liehen uns noch einmal ihre Pferdestaerken, und das Saegewerk hielt seinen Einzug. Der Garten war ueppig und produktiv. Bussis halfen weiter beim Bauen. Derweil produzierte ich Quark. Es gab den Wichtigvogel und eine tolle Tomatenernte. Im November kam der Schnee. Wir waren noch nicht im Haus, konnten es aber zum Zerlegen von Ziegen nutzen. Immerhin. Und am 22.11. endlich: Die Erstbefeuerung des kleinen Oefchens, das mein Vater uns in weiser Voraussicht in den Container gepackt hatte.
Wir hatten das grosse Glueck, dass uns eine meiner Marktkolleginnen einen (Holz-)Kuechenherd schenkte und sogar anlieferte. Ich schleifte nach und nach die wichtigsten Moebel ins Haus, und ein kleines bisschen konnten wir auch auf dem kleinen Oefchen kochen. Und so zogen wir um. In ein himmlisch leeres Haus. Das blieb natuerlich nicht lange so. Und dem kleinen Hund war auch trotz neuem Haus gern noch kalt.